Die Siedlungsgeschichte der Oberilp

Von Gerhard Bechthold

Teil 2: Die Mehrgeschossbebauung von Oberilp-Süd 1968-1974


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Als vor 60 Jahren der Zweite Weltkrieg in Deutschland endete, lebten 9.805 Menschen in Heiligenhaus. Bis September 1950 stieg die Einwohnerzahl auf 13.248, 13% waren Heimatvertriebene. Durch die schnell wachsende Zahl von Arbeitsplätzen in den Heiligenhauser Unternehmen und den Zustrom von Gastarbeitern, ihren Familien und Migranten wuchs die Stadt bis zum 1.1.1969 auf 28.054 Einwohner (Stadtarchiv). Mit dieser stürmischen Bevölkerungszunahme gehörte Heiligenhaus zu den vom Land NRW anerkannten Schnellzuwachs- gemeinden. Jeden Morgen brachten zahlreiche Busse Arbeiter nach Heiligenhaus, für die dringend Wohnraum geschaffen werden musste.

Neben der Schaffung von Wohnraum war in den 60er Jahren in NRW die kommunale Gebietsreform ein wichtiges Thema. Um selbständig zu bleiben, bemühte sich Heiligenhaus, in die Kategorie 30.000 - 50.000 Einwohner zu kommen (30.000 EW war eine Dotierungsgrenze). Wichtiges Kriterium für die Selbständigkeit von Gemeinden war die Gewährleistung der medizinischen Nahversorgung für die Bevölkerung. So entstand eine Absichtserklärung zur Fusion von Kettwig (es hatte ein älteres Krankenhaus) und Heiligenhaus (ohne Krankenhaus). Parallel erwarb Heiligenhaus für einen Krankenhausneubau Gelände südlich der Höseler Straße gegenüber der Oberilp. Als Kettwig später von Essen eingemeindet wurde, vereinbarten Velbert und Heiligenhaus den gemeinsamen Neubau des Klinikums Niederberg. - Die kommunale Gebietsreform in NRW wurde am 1.1.1975 abgeschlossen. Heiligen- haus, das am 1.1.1974 inzwischen 30.130 Einwohner hatte, blieb selbständig.

Das heutige Wohngebiet Oberilp liegt in der Gemarkung Hasselbeck Flur 10, begrenzt durch Höseler Straße, Ruhrstraße, Bahntrasse und eine Linie, die durch den Grünzug zwischen Rhönstraße und hinter der Bebauung an der Weilenburgstraße führt. Am Nordhang eines Höhenrückens gelegen, hat die Oberilp eine typisch niederbergische Topographie. Die Einfahrt an der Höseler Straße liegt 157,31 m über NN, die Wende an der Grubenstraße 124,65 m über NN und der Bolzplatz an der heutigen Giesenhofstraße 115,41 m über NN, insgesamt ein Gefälle über fast 42 m! Auf diesem Hanggelände von 18 Hektar sollte nach dem Nonnenbruch und der Unterilp ein drittes Wohngebiet in Heiligenhaus mit über 1000 Wohneinheiten entstehen, frei und öffentlich finanzierte Mietwohnungen, Eigentumswohnungen und Eigenheime.

Rasante Bevölkerungszunahme erforderte
dringend mehr Wohnraum

Am 21.12.1965 fasste der Rat der Stadt Heiligenhaus als Träger der Planungshoheit den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 13 "Oberilp-Süd". Nach dem Anhörungs- und Beratungsverfahren - hieran sind bis zu 42 Behörden und Dienststellen beteiligt - fasste der Rat am 26.4.1967 den Satzungsbeschluss, der nach Prüfung durch den Regierungspräsidenten mit seiner Bekanntmachung am 15. März 1968 in Kraft trat. Der Bebauungsplan legte Oberilp-Süd als reines Wohn- gebiet fest, mit sechs 8-geschossigen Punkthäusern sowie 8- und 4-geschossiger Reihenbebauung. Diese verbindlichen Vorgaben waren von den ausführenden Architekten bei der Detailplanung zu beachten. Um einen Platz herum waren Flächen für eine Schule, ein Gemeinde- zentrum mit Kindergarten, einen kleinen Supermarkt und eine Zeile mit Wohnhäusern und weiteren Geschäften ausgewiesen.

1964 hatte die Stadt die Flächen der Getreidefelder des Hofes Oberilp erworben. Für diesen Teilbereich erhielt die Architektengemeinschaft Döhring-Jung-Weitzell den Auftrag von der Erschließung, Bebauung bis zur Wohnungsvermietung. Die Erdarbeiten begannen im Februar 1968. In zügigem Tempo wurden die Reihen Hunsrückstraße 1-23, das 8-ge- schossige Haus Harzstraße 1 und die Reihen Harzstraße 2-38 in Angriff genommen. Im Oktober 1968 beherrschten Baukräne das Bild der Oberilp. Im Februar 1969 waren bereits 336 Wohneinheiten rohbau- fertig. Ab August wurden erste Wohnungen an der Hunsrück- und Harzstraße bezogen, im Februar 1970 ebenfalls im Haus Harzstraße 1.

In der zweiten Hälfte 1969 wurde bekannt, dass es bei Döhring-Jung-Weitzell Auseinandersetzungen übers Geld gab. Die Heiligen- hauser Zeitung berichtete im September über kleine Fehler bei der Bauausführung. Im März 1970 waren daraus untragbare Zustände für die Bewohner geworden. Den Grund für den "Bauskandal" sah die Heiligenhauser Zeitung in den für fast drei Mio. DM ausstehenden Handwerkerrechnungen. Die auf ihr Geld Wartenden ließen sich mit ihren Arbeiten Zeit oder stellten sie ganz ein. Es wurde zunehmend offenkundig, dass Döhrung-Jung-Weitzell mit Erfüllung der eingegan- genen Verpflichtungen überfordert waren. Auch die von ihnen im April 1966 vom Hof Unterilp gekauften Flächen nördlich der Höseler Straße (hier waren Punkthäuser geplant) und das Eigenheimgelände Oberilp- Nord, wurden nicht bezahlt. Helmut Bernsau verkaufte die Grundstücke daraufhin Februar 1970 an die KUN-Tochter David KG. Im Sommer 1970 war die Gemeinschaft Döhring-Jung-Weitzell am Ende. Döhring und Jung trennten sich von Weitzell, die Gemeinschaft wurde aufgelöst.

Im Juli 1970 bildete sich aus den Herren Sahle und Halstrup aus Gre- ven und Herrn Dürre aus Münster die „Baugemeinschaft Heiligenhaus GBR“, Greven. Von nun an operierten mehrere Bauträger im Baugebiet. Die Baugemeinschaft Heiligenhaus beschäftigte sich vorrangig damit, die von Döhring-Jung-Weitzell in bezogenen Häusern hinterlassenen Mängel zu beheben und die restlichen Häuser fertigzustellen. Die David KG begann mit dem Bau der 8-geschossigen Punkthäuser Harzstraße 3-9, der 4-geschossigen Reihenbebauung Harzstraße 11-13 und den beiden ebenfalls 8-geschossigen Häusern Rhönstraße 7-11 und 13-17. Die Firma Huxoll aus Ratingen-Homberg errichtete das mit 8 Ge- schossen geplante Haus Rhönstraße 2. Außerdem verkaufte die Stadt im August 1970 - trotz der bekannten Schwierigkeiten mit Weitzell-Bauten - dem Architekten Weitzell, dem Bauunternehmer Auffenberg und dem Versicherungskaufmann Schneider ein Grundstück für den Bau des 8-geschossigen Hauses Rhönstraße 10/12.

Ende 1970 waren alle Eigentumswohnungen des Hauses Harzstraße 1 bezogen. Neben großen Wohnungen gab es auch Appartements, die für Mitarbeiter des jenseits der Höseler Straße geplanten Krankenhauses gedacht waren. - Das gegenüber auf der höchsten Stelle der Oberilp entstehende Haus Rhönstraße 2 (ebenfalls mit Eigentumswohnungen) wurde mit seinen endgültig 12 (!) Stockwerken und einer Höhe von etwa 35 m ein richtiges Hochhaus. - Die beiden die Stadtteileinfahrt flankierenden Häuser Rhönstraße 2 und Harzstraße 1 bilden seither mit ihrer markanten Silhouette gleichsam das Tor zur Oberilp! - Der Bau Rhönstraße 10/12, der heute zum Abriss ansteht, hatte für die damalige Zeit Modell-Charakter. Die 88 Wohneinheiten wurden als schöne Maisonette-Wohnungen über zwei Etagen gebaut. Haus Nr. 10 wurde im Jahre 1972 bezogen, Nr. 12 war zu diesem Zeitpunkt noch im Bau. Auf den Niedergang dieser ursprünglich ansprechenden Immobilie wird später eingegangen.

Die Oberilp war noch reines Baugebiet ohne feste Straßen, als ab Mitte 1969 die ersten Bewohner einzogen. Vielfach waren sie gezwungen, in unfertige Häuser und Wohnungen einzuziehen und mit Baumängeln zu leben, weil sie im Vertrauen auf Terminzusagen ihre alten Wohnungen gekündigt hatten. Mieter, die im August 1969 ihre Wohnung in der Hunsrückstraße bezogen, erinnern sich noch lebhaft an den schneereichen Winter 1969/70. Bei Tauwetter oder Regen war alles voller Matsch. Für den Weg zur Arbeitstelle oder zum Einkaufen benötigte man immer zwei Paar Schuhe: Die Gummistiefel bis zur Höseler Straße, wo dann in normale Schuhe gewechselt wurde. Der Rückweg wurde in umgekehrter Reihenfolge bewältigt.

1972: Ein Paradies für Kinder ohne Autoverkehr

Doch für die Kinder war das Leben in der Oberilp ein Paradies! Sie fanden viele Spielkameraden. Wasserpfützen und Matsch übten auf die Jüngsten eine magische Anziehungskraft aus. Im Sommer zog ein Wanderschäfer mit seiner Herde auf die anfangs noch brachliegenden Wiesen unterhalb der Mehrgeschossbauten. Außer Baumaterial- anlieferungen gab es praktisch keinen Autoverkehr. Eine heute selbständige Friseurmeisterin, die 1972 mit ihrer Familie in die Rhönstraße 10 einzog, erinnert sich gerne an ihre schöne Kindheit. Mit den gleichzeitig Eingezogenen herrschte eine gute Nachbarschaft, viele Kinder waren im gleichen Alter. "Wir waren immer eine ganze Schar von Kindern und haben uns viel im Spielhaus aufgehalten. Man ist zusammen groß und 'alt' geworden. Es sind heute noch die besten Freunde“.

Am 1. Januar 1971 lebten 941 Menschen in der Oberilp (Meldeamt Hei- ligenhaus). Die schulpflichtigen Kinder besuchten zunächst die Städti- sche Gemeinschaftsgrundschule am Sportfeld. Am 1. August 1971 wurde die Städtische Gemeinschaftsgrundschule Oberilp eröffnet. Erster Schulleiter war Wilhelm Reichard. Die Schule Oberilp startete mit 5 Lehrkräften und 8 Klassen. Die genaue Schülerzahl ist aus der Schulchronik nicht ersichtlich. Die spätere Rektorin, Ursula Kölschbach, erinnert sich jedoch an eine durchschnittliche Klassenstärke von 40 Kindern, sodass man insgesamt von etwa 320 (!) Kindern im ersten Schuljahr 1971/72 ausgehen kann. Die Zahl enthielt auch die Kinder vom Wohngebiet Wassermangel, das zum Einzugsgebiet der Oberilper Schule gehörte.

Einkaufsmöglichkeiten gab es in den ersten Jahren nicht. Der nächste Laden war der Edeka-Markt in der Unterilp, wobei die Fußgängerbrücke an der Grubenstraße noch nicht existierte. 1972 eröffnete der Edeka-Markt Oberilp. Er bot den Oberilpern die lang ersehnte Nahver- sorgung. - Als Vorläufer für ein angedachtes evangelisches Gemeinde- zentrum mit Kindergarten für Ober- und Unterilp (ein Plan existierte noch nicht) ließ die ev. Gemeinde 1972 einen Pavillon, 7,50 x 20 m groß, als Fertigbau auf dem für sie reservierten Grundstück errichten. In diesem Raum fanden Kindergottesdienste, Kindergruppen- und Jugendarbeit sowie Gemeindenachmittage statt. Für evangelische Gottesdienste stellte die katholische Kirchengemeinde ihr Zentrum in der Unterilp zur Verfügung, ein Beispiel für praktizierte Ökumene vor über 30 Jahren! - Im Oktober 1973 folgte die Eröffnung des Spiel- hauses mit einem pädagogisch betreuten Abenteuerspielplatz. Am Eröffnungstag tummelten sich hier schon über 250 Kinder! 1 ½ Jahre leistete hier Reinhard Schneider, der spätere Kulturamtsleiter der Stadt und Kustos des Museums Abtsküche, wertvolle Jugendarbeit.

Auf der westlichen Seite des Platzes war im Bebauungsplan eine Fläche für niedrigere Wohnhäuser mit Geschäften im Erdgeschoss ausgewie- sen. Diese Häuserzeile errichteten die Sparkasse und private Bauherren mit heimischen Architekten. Als erstes wurde das Haus Hunsrückstraße 33 fertig. Am 1.4.1973 eröffnete hier der Internist Dr. med. Rudolf Schumacher seine Praxis und ebenfalls noch im April der Apotheker Klaus Nickisch die West-Apotheke.

Die restlichen Wohnbauten in Oberilp-Süd wären vermutlich bis Ende 1973 fertig geworden, wenn nicht der Homberger Bauunternehmer Josef Kun am 3. Juli 1973 für alle Unternehmen seines Konzerns Kon- kurs angemeldet hätte. Sämtliche Baustellen der KUN-Tochter David KG musste die Stadt Heiligenhaus unverzüglich stilllegen, weil mit dem Konkurs auch die Durchführung der restlichen Erschließungsarbeiten nicht mehr gewährleistet war. In Oberilp-Süd waren die Häuser Rhön- straße 7-11 und 13-17 betroffen. Die Häuser 7-11 waren bis auf Restarbeiten fertig, Haus 13 hatte die David KG gerade erst begonnen. Mit dem Konkurs blieb zunächst alles bis in den Winter liegen, Haus 13 offen und unverglast. Ende 1973 erwarb die Heinrich Schmitz KG., Düsseldorf, beide Bauten und begann ab Anfang 1974 mit den Restarbeiten und dem Weiterbau von Haus 13-17. Ab August 1974 begann die Schmitz KG dann mit der Vermietung der Wohnungen.

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