Spielhaus und Bolzplatz te Brake
Bauplatz Gemeindezentrum,
im Mittelgrund das Spielhaus (Foto Busse 1974)
Die Siedlungsgeschichte der Oberilp
Von Gerhard Bechthold
Teil 4: Ein Kaleidoskop der problemreichen 70er Jahre
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Am 1.1.1974 - die Häuser Rhönstraße 7-17 und
zahlreiche Eigenheime waren noch nicht bezogen - lebten insgesamt 1.816 Menschen in die- sem neuen Wohngebiet,
14,8% besaßen einen Migrationshintergrund (Meldeamt Heiligenhaus). Heiligenhaus hatte zum gleichen
Zeitpunkt mit 30.130 Einwohnern einen Höchststand erreicht, stagnierte dann jedoch auf diesem Niveau
und verlor in der Folgezeit den Charakter einer Schnellzuwachsgemeinde. Wie die in den vorangegangenen 20
Jahren entstandenen anderen Neubaugebiete wurde auch die Oberilp in ihren ersten Jahren sozialer Brennpunkt.
Die nach dem Konkurs der David KG verbliebenen restlichen Erschlie- ßungsarbeiten im Wohngebiet Oberilp
ließ die Stadt Heiligenhaus durchführen. Die oberste Straßendecke wurde nach langem
Drängen der Bürger endlich im zweiten Halbjahr 1974 aufgebracht! Rück- schauend auf die Bebauung
der Oberilp formulierte ein Insider 2005: "In der Oberilp gibt es praktisch kein Haus, das nicht durch einen
Konkurs gegangen ist!" Mit Ausnahme der Wohn-/Geschäftshäuser Hunsrückstraße 31-39 und
der ebenfalls privat gebauten Häuser Grubenstraße 16-22 dürfte dies zutreffen. Sicher einer
der Gründe für zahlreiche Probleme, mit denen gerade die Bewohner der Mehrge- schossbauten in
Oberilp-Süd in den ersten Jahren zu kämpfen hatten.
Wechselnde und langjährige Immobilienbesitzer
Bis auf die Hochhäuser mit Eigentumswohnungen
(Rhönstraße 2 und Harzstraße 1) und die Häuser der Baugemeinschaft Heiligenhaus
wechselten bei den meisten Mehrgeschossbauten durch Konkurs die Besitzer. Einige Häuser wurden von
privaten Investoren erworben, andere durch Wohnungsbaugesellschaften oder Großunternehmen. Zu
letzteren gehörte die Firma Rheinmetall, die die Hochhäuser Rhön- straße 10/12 vom
Bauherrn Willy Weitzell erwarb. Die Victoria-Versicherung kaufte 1980 das Haus Harzstraße 9. War
die Rendite zu gering oder wollte man das in den Immobilien gebundene Kapital in das Kerngeschäft
investieren - beide Unternehmen veräußerten die Immobilien nach einigen Jahren wieder.
Harzstraße 9 ging für mehrere Jahre an die Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG),
einen strate- gischen Investor. Gegründet 1970, ist die LEG NRW heute als Woh- nungskonzern des Landes
von großer Bedeutung. Sie bewirtschaftet ca 110.000 Wohnungen und entwickelt Standorte für
Dritte auf eigenes Risiko. Vor 20 Jahren kaufte sie z. B. den Wohnungsbestand der Neuen Heimat und entzog
damit diese Sozialwohnungen dem Zugriff der Spekulanten. Die Baugesellschaft Heinrich Schmitz KG.,
Düsseldorf, kaufte aus der Konkursmasse David KG die Häuser Rhönstraße 7-17 mit
144 Wohneinheiten.
Die Baugemeinschaft Heiligenhaus (gegründet 2.7.1970) besaß insge- samt 16 Häuser mit
164 Wohneinheiten. Die Anteile lagen mit 42,9% bei Erwin Halstrup, 42,9% bei Paul Sahle und 14,2% bei
Friedrich Dürre. Den Anteil Dürre erwarb Sahle 1980. Die kinderlose Familie Halstrup vererbte
ihren Anteil an die Kath. Kirchengemeinde St. Mar- tinus, Greven, von der er 1999 von Sahle übernommen
wurde. Am 1. Juli 2005 wurde die Baugemeinschaft Heiligenhaus in die Gesellschaft Sahle Wohnen eingebracht
und die Baugemeinschaft aufgelöst. Ge- gründet in den 1960er Jahren und mit einem Bestand von rund
23.000 Wohnungen gehört die Sahle-Gruppe heute zu den führenden mittel- ständischen
Wohnungsbaugesellschaften der Bundesrepublik. In der Oberilp besitzt sie den größten
Wohnungsbestand.
Die Mieter litten unter noch nicht beseitigten Baumängeln, als ihnen 1974 von den neuen Besitzern
drastisch erhöhte Mietpreisforderungen zugestellt wurden, teilweise sogar auf 16 Monate
rückwirkend. Dies betraf u. a. den Weitzell-Bau Rhönstraße 10/12, Rhönstraße 7-17
der Heinrich Schmitz KG und auch die Punkthäuser der August Schmitz GmbH & Co KG an der Harzstraße.
Begründet wurden die kurzfristigen Mieterhöhungen mit der erforderlichen Aufnahme zusätzlicher
Mittel nach dem David-Konkurs, der langen Bauzeit und einer Teuerung von über 50%. Die Mieter waren
empört. Die Kommunistische Partei organisierte einen Protestmarsch zum Rathaus. Im Zusammenwirken des
SPD-Ortsvereins, der Stadt und der Bürgermeinschaft Oberilp gelang es durch eine Eingabe an den
Innenminister, die Miete der öffentlich geförderten Wohnungen mit Hilfe der Regierung wieder auf
den Satz von DM 4,-- /Monat pro qm Wohnfläche zurückzuführen.
Mit der Bürgergemeinschaft Oberilp begann
das
nachhaltige Bürgerengagement für den Stadtteil
Die Bekämpfung des Mietwuchers war eine der ersten Aufgaben
der Bürgergemeinschaft Oberilp (BGO), die sich am 1. März 1974 ge- gründet hatte. Die 45
Gründungsmitglieder hatten bis dahin dem in der Unterilp bestehenden Bürgerverein West angehört,
hielten jedoch jetzt angesichts der Vielzahl von Aufgaben einen selbständigen Bürgerverein in der
Oberilp für sinnvoll. In der Gründungsversammlung der BGO wurden die Vereinssatzung verabschiedet,
ein Vorstand gewählt und vier ständige Arbeitsausschüsse für Information, Kinder,
Ausländer und Wohnen mit jeweils 5 Mitgliedern gewählt. Die Aufgabenverteilung war Programm.
Mit Leidenschaft, Engagement und hohem zeitlichen Auf- wand setzten sich die überwiegend berufstätigen
Mitglieder der BGO für die Nöte und Belange aller Bewohner und die stetige Verbesserung des
Lebensraums Oberilp bei den zuständigen Ämtern und Behörden ein. Das umfangreiche BGO-Archiv
berichtet von Kinder-, Straßen- und Stadtteilfesten, Kleiderbasaren, Trödelmärkten,
Informationsveranstal- tungen mit Verwaltung und Politik sowie Kulturveranstaltungen.
Bis 1988 wurden 28 Ausgaben des informativen "oberilp anzeiger" in einer Auflage von jeweils
über 1000 Exemplaren verteilt. In wie- derholten Aktionen wurden Bäume und Sträucher zur
Begrünung der Oberilp gepflanzt und an "Dreck-weg-Tagen" von Erwachsenen und Kindern die Oberilp
vom Müll im öffentlichen Bereich befreit. 1978 zählte die BGO 162 Mitglieder, ein Rekord und
Vertrauensbeweis der Bewohner. Für die Stadtverwaltung bedeuteten die Gespräche mit BGO-Vertretern
eine neue Erfahrung. Man sprach nicht mehr mit Einzelbürgen sondern mit Bürgervertretern, die
mit Kompetenz, Selbstbewußtsein und Beharrlichkeit, jedoch gleichzeitig in kontro- versen Situationen
auch sachlich für ihre Anliegen kämpften. Gibt es ein schöneres Kompliment, wenn ein
inzwischen pensionierter früherer Amtsleiter rückblickend 2005 sagte: "Ihr damaliger Vorstand
müsste für die Verdienste um die Oberilp das Bundesverdienstkreuz erhalten"? 1980 und 1985 wurden
der BGO durch Ratsbeschluss der jährliche Umweltpreis für ihre Aktivitäten zur Begrünung,
Verschönerung, Sau- berhaltung und die nachhaltigen Bemühungen um eine allgemeine Verbesserung der
Lebens- und Wohnqualität im Stadtteil Oberilp zuer- kannt.
Schulpavillons
Das neue Wohngebiet war auch von der Altersstruktur seiner Bewohner
her ein junger Stadtteil. Die rasante Entwicklung der Einwohnerzahlen machte nach der Eröffnung im August
1971 innerhalb von 4 Jahren zwei Erweiterungen der Gemeinschaftsgrundschule Oberilp erforderlich. Am 1.10.1974
wurde der erste Pavillon bezogen, die Schülerzahl be- trug jetzt 360. Zu Beginn des Schuljahres 1975/76 wurde
der zweite Pavillon in Betrieb genommen und mit 368 Kindern die Höchstzahl von Schülern erreicht.
Sie wurden von 11 Lehrerinnen und Lehrern unter- richtet.
Für die vielen Kinder und Jugendlichen wurden Spielmöglichkeiten be- nötigt. Im Oktober 1973 wurde
das Spielhaus des pädagogisch betreuten Abenteuerspielplatzes eröffnet. Über 250 Kinder
drängten sich am ersten Tag in den Räumen und machten deutlich, dass es eigentlich doch zu klein
geraten war. In den Folgejahren wurde es durch 4 An- und Ausbauten erweitert und ist heute mit seinem
vielseitigen Angebot für die Kinder und Jugendlichen in der Oberilp unersetzlich. Diese Einrichtung ist
in Heiligenhaus einmalig! Für die sportliche Betätigung der Jugendlichen wurde im Juni 1975 der
Bolz- platz "te Brake" an der Giesenhofstraße freigegeben. Hier wurde Fußball und Tischtennis
gespielt. Bis 1979 stand am Rand noch die Scheune vom Hof "In der Ruthen".
Gemeindezentrum und Kindergarten entstehen
Der Bebauungsplan für das in den Jahren 1962-1968 entstandene
Wohngebiet Unterilp sah im Zentralbereich für die evangelische und die katholische Kirchengemeinde
reservierte Grundstücke vor. Um Paral- lelentwicklungen wie z. B. 2 konfessionelle Kindergärten
zu vermeiden, kamen beide Kirchengemeinden auch unter Würdigung des ökume- nischen Gedankens
überein, dass nur die katholische Seite in Unterilp einen Kindergarten und Gottesdienstraum bauen
sollte, während die evangelische Gemeinde in dem ab 1968 geplanten Wohngebiet Oberilp bauen sollte.
So wies der Bebauungsplan Nr. 13 entsprechende Flächen in Oberilp-Süd aus. 1972 wurde auf diesem
Grundstück als Übergangs- lösung zunächst ein Fertigbau-Pavillon für die Kinder- und
Jugendarbeit errichtet.
1973 wurde ein Wettbewerb für den Bau eines Gemeindezentrums mit Kindergarten ausgeschrieben, an dem
sich 7 Architekten beteiligten, darunter zwei aus Heiligenhaus. Den Wettbewerb gewann der Heiligen- hauser
Architekt Uwe Pahl. Er veranschlagte die Baukosten mit 1.7 Mio DM ohne Grundstück. Der Kindergarten
war für 4 Gruppen mit insge- samt 100 Kindern plus Hortgruppe ausgelegt. Die Bausumme und die nicht
unerheblichen jährlichen Folgekosten stellten jedoch eine hohe Hürde für die Gemeinde dar.
Andererseits wurde der Ruf nach einem eigenen Gottesdienstraum und dem Kindergarten immer lauter. 1974 war
absehbar, dass mit Fertigstellung der Wohnbebauung Oberilp ca. 4000 Gemeindemitglieder in diesem 5.
Pfarrbezirk (heute Westbezirk) wohnen würden; und nach der Kindergarten-Bedarfsplanung der Stadt
Heiligenhaus wurden zum 1.1.1975 271 Kinder im Alter von 3-6 Jahren in Oberilp und Wassermangel erwartet.
Sowohl die Stadt als auch die Bürgergemeinschaft Oberilp drängten jetzt auf eine rasche Verwirk-
lichung.
Das Presbyterium fasste den Baubeschluss und holte im Juni 1974 die Genehmigung des Landeskirchenamtes ein.
Im September 1975 wurde der Pavillon auf dem Baugelände demon- tiert (er wurde das Obergeschoss eines
kleinen Gemeindezentrums in Isenbügel) und mit den Bauarbeiten in der Oberilp begonnen. Nach Fertigstellung
des Kellergeschosses erfolgte am 5. Mai 1976 die Grund- steinlegung. In der Urkunde schrieb die Evangelische
Kirchengemeinde Heiligenhaus u.a. "Das Presbyterium hat sich trotz der immer schwieriger werdenden finanziellen
Situation im Vertrauen auf Gottes Hilfe und Beistand zum Bau dieses Hauses entschlossen / das allen Bürgern
dieses Bezirks dienen soll". Mit Karl Heinz Priemer war damals erstmalig ein Laie Vorsitzender des Presbyteriums,
stellvertretender Vorsitzender war Pastor Hans-Joachim Weber. Das Richtfest wurde von der Gemeinde am 24.9.1976
begangen und Sonntag, den 2. Juli 1977 erfolgte die Einweihung. Die veranschlagten Baukosten waren nicht
überschritten worden! Als einziges Gebäude in der Oberilp war das Gemeindezentrum auf Vorschlag von
Architekt Pahl nicht mit einem Flach- sondern mit einem Schrägdach (30°) ausgestattet worden. Am 1.9.1977
wurde Pastor Rainer Wiefelspütz auf die seit einem Jahr vakante Pfarrstelle berufen. Für die Oberilp
ein Glücksfall! Es ent- wickelte sich ein reges und intensives Gemeindeleben. Bis heute steht das
Gemeindezentrum mit seinen vielfältigen Aktivitäten allen Bewohnern des Bezirks offen. Hier wird
Integration gelebt!
In der zweiten Hälfte der 70er Jahre konnte sich die BGO mit für die Wohnqualität wichtigen
Anliegen durchsetzen, für die sie lange und zäh gekämpft hatte. In Abweichung vom genehmigten
Bebauungsplan Nr. 14 entschied sich der Rat der Stadt 1976 gegen die ursprünglich ge- plante Anbindung der
Gruben- an die Ruhrstraße. Damit war die Gefahr gebannt, dass die breite Grubenstraße zu einer
belebten Durchgangs- straße wurde, die das Wohngebiet Wassermangel und das Gewerbe- gebiet
Weilenburgstraße mit der Ruhrstraße verband. 1977 wurde die Oberilp als eines von 30 Gebieten in den
Großversuch "Tempo 30" des Landes Nordrhein-Westfalen zur Verkehrsberuhigung in Wohngebieten aufgenommen.
Im Testgebiet wohnten jetzt 3367 Einwohner, 30% von ihnen Kinder. Ebenfalls 1977 schaltete die BGO einen
Rechtsanwalt ein, um zu verhindern, dass aus dem Gewerbegebiet Weilenburgstraße ein Industriegebiet wurde.
Zwei Prozesse schärften bei den Genehmi- gungsbehörden das Bewußtsein für das problematische
Nebeneinander und führten zu schärferen Auflagen. Schließlich begannen Ende 1977 auch die
Arbeiten an dem Jahre zuvor von der Stadt zugesagten Grüngürtel zwischen der Rhönstraße
und dem Gewerbegebiet mit der Anschüttung von Mutterboden.